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Text des Beschlusses
BVerwG 1 B 47.06;
Verkündet am: 
 04.01.2007
BVerwG Bundesverwaltungsgericht
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Die zulässige Beschwerde der Beklagten hat mit der von ihr erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) Erfolg. Sie macht zu Recht geltend, dass das Berufungsgericht ...
In der Verwaltungsstreitsache


hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 4. Januar 2007 durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund und Richter

beschlossen:

Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Februar 2006 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.


Gründe:


1Die zulässige Beschwerde der Beklagten hat mit der von ihr erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) Erfolg. Sie macht zu Recht geltend, dass das Berufungsgericht wesentliches entscheidungserhebliches Vorbringen der Beklagten nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hat und das Berufungsurteil auf diesem Mangel beruhen kann.

21. Die Beklagte bemängelt zutreffend, dass das Berufungsgericht sich in den Entscheidungsgründen nicht mit der von ihr im Berufungsverfahren vorgetragenen (Berufungsbegründungsschrift vom 2. Dezember 2003, GA Bl. 128 f. unter Bezugnahme auf die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung vom 13. Oktober 2003, GA Bl. 105 f.) Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte Lüneburg und Schleswig zur inländischen Fluchtalternative für Tschetschenen außerhalb von Tschetschenien in den übrigen Gebieten der Russischen Föderation auseinandergesetzt hat. Die Tatsache, dass das Berufungsgericht auf dieses Vorbringen der Beklagten in den Urteilsgründen nicht eingegangen ist und sich auch sonst (in diesem Zusammenhang) nicht mit der abweichenden Würdigung der anderen Oberverwaltungsgerichte befasst hat, lässt angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles nur den Schluss zu, dass es dieses Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hat. Das verletzt den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs; zugleich liegt darin ein formeller Begründungsmangel im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO (vgl. im Einzelnen den Beschluss des Senats vom 1. März 2006 BVerwG 1 B 85.05 juris).

3Das Vorbringen war auch entscheidungserheblich, weil der Verwaltungsgerichtshof seine Entscheidung darauf gestützt hat, dass die Kläger bei einer Rückkehr in die Russische Föderation keine inländische Fluchtalternative finden könnten (UA S. 13 Abs. 2 a.E., S. 18 Abs. 2 und S. 21 Abs. 2). Diese Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs ist bei der Prüfung des Verfahrensmangels zugrunde zu legen.

4Der Senat weist hierzu allerdings darauf hin, dass die Prüfung einer inländischen Fluchtalternative an sich im Widerspruch zur Annahme des Verwaltungsgerichtshofs steht, die Kläger seien als Tschetschenen in Tschetschenien lediglich einer „örtlich begrenzten“ Gruppenverfolgung ausgesetzt gewesen und bis heute ausgesetzt (UA S. 13 Abs. 2 und Abs. 3). An anderer Stelle scheint der Verwaltungsgerichtshof dagegen von einer „regionalen“ Gruppenverfolgung aller ethnischen Tschetschenen in Tschetschenien auszugehen (UA S. 20 Abs. 2) oder beides gleichzusetzen (UA S. 11 Abs. 1). Nur bei einer (fortbestehenden oder neu entstandenen) „regionalen“ Gruppenverfolgung bei der Rückkehr der Kläger hätte der Verwaltungsgerichtshof das Bestehen einer internen Fluchtalternative zu diesem Zeitpunkt rechtlich prüfen müssen.

5Bei einer „örtlich begrenzten“ (ethnischen) Gruppenverfolgung der tschetschenischen Volkszugehörigen in Tschetschenien sind dagegen bei richtiger Abgrenzung nach der vom Verwaltungsgerichtshof zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. insbesondere Urteile vom 30. April 1996 BVerwG 9 C 171.95 BVerwGE 101, 134 = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 187 S. 89 und vom 9. September 1997 BVerwG 9 C 43.96 BVerwGE 105, 204 = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 196 S. 131f.) nicht alle tschetschenischen Volkszugehörigen allein wegen ihrer Ethnie regional verfolgt, sondern gruppenverfolgt sind von vornherein nur diejenigen Tschetschenen, die wie die Kläger vor ihrer Ausreise in Tschetschenien leben. Nur die Letzteren sind Träger des zusätzlichen, die verfolgte Gruppe kennzeichnenden an einen „örtlichen“ Bezug anknüpfenden oder gebietsbezogenen Merkmals oder Umstands. Dagegen gehören tschetschenische Volkszugehörige, die diesen zusätzlichen Orts- oder Gebietsbezug nicht aufweisen (hier nach der Annahme des Verwaltungsgerichtshofs: die sich nicht in Tschetschenien aufhalten wie die Kläger bei einer Rückkehr aus Deutschland in andere Gebiete der Russischen Föderation ), nicht zu der verfolgungsgefährdeten Gruppe. Sie sind mit anderen Worten bei der Annahme einer örtlich begrenzten Gruppenverfolgung im Falle ihrer Rückkehr voraussetzungsgemäß nicht (bzw. nicht mehr) von der Verfolgung betroffen. Ihnen ist deshalb die Rückkehr in andere Gebiete des Heimatstaats ohne weitere asylrechtliche Prüfung einer inländischen Fluchtalternative zuzumuten. Haben sie ihr Heimatland allerdings vorverfolgt verlassen (d.h., wenn ihnen zum Zeitpunkt der Ausreise keine interne Fluchtalternative offenstand), ist die Gefahr erneuter Verfolgung bei Rückkehr nach dem sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu prüfen. Soweit ihnen in den Gebieten, in die sie danach ohne Verfolgungsgefahr (nach dem im Einzelfall anzuwendenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab) zurückkehren können, sonstige Gefährdungen drohen, kommt ausländerrechtlicher Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Betracht.

62. Auf die von der Beklagten erhobenen weiteren Rügen kommt es danach nicht an.

73. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Eckertz-Höfer Hund Richter
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