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Text des Urteils
BVerwG 2 WD 33.04;
Verkündet am: 
 26.10.2005
BVerwG Bundesverwaltungsgericht
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Sexuelle Belästigung einer Untergebenen; Zusenden von SMS; Funktionale Betrachtungsweise des BeschSchG; Verschlechterungsverbot.
Leitsatz des Gerichts:
Zur rechtlichen Würdigung und Maßnahmebemessung bei sexueller Belästigung einer Untergebenen durch Versenden anzüglicher SMS-Texte.
Der Soldat, ein Hauptfeldwebel, verschickte wiederholt belästigende SMS mit teilweise sexuellem Inhalt an eine Untergebene. Das Truppendienstgericht verhängte gegen den Soldaten wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von zweieinhalb Jahren.

Der Senat wies die Berufung des Soldaten zurück. Der Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts nahm seine Berufung zu Beginn der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung des Soldaten zurück.


Gründe:


1a) …

2Zu Anschuldigungspunkt 4:

3Von Mitte Januar bis Ende Juni 2002 schickte der Soldat, zu dieser Zeit Zugführer, der Zeugin K., damals Unteroffizier und Angehörige desselben Zuges, nach Dienst nahezu täglich ca. 5 8 SMS mit folgenden Inhalten an ihr privates Handy:

4- „Wollen wir ins Kino gehen?“

5- „Bist Du allein?“

6- „Wir könnten uns mal treffen.“

7- „Wollen wir essen gehen?“

8- „Wollen wir zusammen mal Sport machen?“

9- „Wollen wir zusammen mal laufen gehen?“

10- „Du hast einen Supi-Körper.“

11- „Schläfst Du schon?“

12- „Träum was Süßes, kleine Maus.“

13- „Warum gehst Du immer so früh zu Bett?“

14...

15Das Bestreiten des Vorwurfs durch den Soldaten ist als Schutzbehauptung zu werten. Denn es besteht kein Anlass, an der glaubhaften Aussage der Zeugin K. zu zweifeln.

16...

17Das Verhalten des Soldaten stellt, rechtlich gesehen, einen Verstoß gegen § 10 Abs. 3, § 12 Satz 2 und § 17 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 SG dar.

18Die Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG) ist u.a. dann verletzt, wenn sich der Vorgesetzte nicht bei allen Handlungen vom Wohlwollen gegenüber dem Untergebenen leiten lässt und er nicht bemüht ist, ihn vor Schäden und Nachteilen zu bewahren (stRspr.: vgl. zuletzt Urteil vom 21. Juni 2005 BVerwG 2 WD 12.04 ). Das gilt auch für immaterielle Schäden (Urteil vom 16. April 2002 BVerwG 2 WD 43.01 ).

19Dies ist hier der Fall, weil der Soldat die Zeugin K., deren Zugführer und somit unmittelbarer Vorgesetzter (§ 1 Abs. 1 VorgV) er war, in ihrer privaten Lebensführung durch das von ihr nicht veranlasste, kontinuierlich über einen Zeitraum von einem halben Jahr erfolgte Zusenden von zumindest einem Dutzend SMS pro Woche nach Dienstschluss erheblich störte und damit belästigte. Er setzte die Störung ihrer Privatsphäre fort, obwohl sie ihm durch jeweils ablehnende wenn auch manchmal nur ausweichende Antworten auf seine SMS, insbesondere auf seine Einladungen ins Kino oder zum Essen, deutlich gemacht hatte, dass sie keinen außerdienstlichen Kontakt zu ihm wünschte. Sie erlitt dadurch im Laufe der Zeit ärztlich festgestellte gesundheitliche Nachteile und musste mehrfach krank geschrieben und schließlich versetzt werden.

20Aus den gleichen Gründen liegt eine Kameradschaftspflichtverletzung (§ 12 Satz 2 SG) vor, deren Feststellung durch die gleichzeitige Feststellung eines Verstoßes gegen die Fürsorgepflicht nicht ausgeschlossen ist (stRspr.: u.a. Urteil vom 19. Februar 2004 BVerwG 2 WD 14.03 ). Das ständige, von der Zeugin K. unerwünschte Eindringen in ihre Privatsphäre durch Zuschicken unzähliger SMS stellt eine Missachtung des als (sonstiges) Recht i.S.d. § 12 Satz 2 Halbsatz 1 Alternative 3 SG geltenden (vgl. dazu Urteil vom 17. Februar 2004 BVerwG 2 WD 15.03. m.w.N.) allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) dar. Dieses schützt die Intimsphäre und die engere persönliche Lebenssphäre (Urteil vom 28. April 2005 BVerwG 2 WD 25.04 ) gegen fortgesetzte erkennbar unerwünschte Zudringlichkeiten und fortgesetztes nachhaltiges Bedrängen, die die persönliche Autonomie empfindlich beeinträchtigen.

21Die Bezeichnung „kleine Maus“ ist in diesem Kontext („Träum was Süßes, …“) allerdings nicht als Ehrverletzung i.S.d. § 12 Satz 2 Halbsatz 1 Alternative 2 SG zu qualifizieren, weil der Soldat mit diesem unwiderlegt so gemeinten Koseausdruck aus der Sicht eines objektiven Dritten die Zeugin K. nicht beleidigte, sondern offenbar seine persönliche Zuneigung zu ihr zum Ausdruck brachte.

22Schließlich hat der Soldat gegen die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 SG) verstoßen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kommt es nicht darauf an, ob eine Ansehensschädigung im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es reicht vielmehr aus, dass das Verhalten eines Soldaten geeignet war, eine ansehensschädigende Wirkung auszulösen (zuletzt Urteil vom 21. Juni 2005 BVerwG 2 WD 12.04 ). Diese Geeignetheit ist zu bejahen, wenn ein Soldat wie hier eine Untergebene über einen langen Zeitraum durch eine Vielzahl aufgedrängter SMS belästigt. Denn er vermittelt mit einem solchen Verhalten den Eindruck, dass er nicht willens und/oder nicht in der Lage ist, das Persönlichkeitsrecht anderer zu respektieren.

23Der Soldat handelte jeweils vorsätzlich. Er wusste und wollte, was er tat. Bezüglich der Verletzung der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht nahm er es in der Parallelwertung in der Laiensphäre billigend in Kauf, dass seine dienstliche Wertschätzung bei seinen Kameraden beeinträchtigt werden könnte.

24Zu Anschuldigungspunkt 5:

25Am 25. Juli 2002 schickte der Soldat, zu dieser Zeit Zugführer der Kompanie, der Zeugin K., damals Unteroffizier und Angehörige desselben Zuges, nach Dienst SMS folgenden Inhalts an ihr Handy:

26- „Was machst Du jetzt?“

27- „Du kannst ja mal bei mir vorbeischauen, wenn es Dir langweilig ist.“

28- „Ich kann gut massieren, kann es Dir ja mal zeigen, kleine Maus.“

29- „Es gibt gute Tricks gegen Verspannungen, kann es Dir ja zeigen.“

30- „Jetzt bist Du aber ein ganz böses Mädchen.“ nach ablehnender Antwort der Zeugin K. auf ein vorangegangenes Massageangebot des Soldaten.

31Die Zeugin K. hielt sich beim Empfang der SMS jeweils in ihrer dienstlichen Unterkunft auf.

32...

33In Anschuldigungspunkt 5 hat der Soldat die gleichen Dienstpflichten wie in Anschuldigungspunkt 4 verletzt, nämlich § 10 Abs. 3, § 12 Satz 2 und § 17 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 SG.

34Ein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG) liegt deshalb vor, weil der Soldat durch die Zusendung der SMS mit den Inhalten „Ich kann gut massieren, kann es Dir ja mal zeigen, kleine Maus.“, „Es gibt gute Tricks gegen Verspannungen, kann es Dir ja zeigen.“ sowie „Jetzt bist Du aber ein ganz böses Mädchen.“ die Grenze des fürsorglichen Umgangs als unmittelbarer Vorgesetzter (§ 1 Abs. 1 VorgV) gegenüber der Zeugin K. überschritt und sich dadurch nicht mehr vom geforderten Wohlwollen ihr gegenüber leiten ließ. Die Angebote, die ihm dienstlich unterstellte Soldatin zu „massieren“, waren nach den Umständen von einem objektiven Standpunkt aus als sexuell intendiert anzusehen, zumal die Soldatin keinerlei Veranlassung zu der Annahme gegeben hatte, sie benötige etwa wegen aufgetretener gesundheitlicher Probleme seine Hilfestellung. Die Bezeichnung als „kleine Maus“ brachte in diesem Zusammenhang anders als bei Anschuldigungspunkt 4 fehlenden Respekt zum Ausdruck, was durch die Bemerkung „Jetzt bist Du aber ein ganz böses Mädchen.“ unterstrichen wird. Die Zeugin K. wurde wie eine unmündige oder leicht steuerbare Person behandelt. Solche Äußerungen, für die die Zeugin keinen Anlass gegeben hatte, werden von davon Betroffenen regelmäßig zu Recht als belästigend empfunden. Dies bedarf keiner näheren Darlegung. Letztlich zieht auch der Soldat dies nicht in Zweifel, sondern versucht, „lediglich“ den Vorgang abzustreiten.

35Der Soldat hat mit seinem Verhalten zudem gegen die Kameradschaftspflicht (§ 12 Satz 2 SG) verstoßen. Die Bezeichnungen „kleine Maus“ sowie „ganz böses Mädchen“ gegenüber der unterstellten Zeugin K. stellen im Zusammenhang mit dem Angebot einer Massage eine Ehrverletzung im Sinne des § 12 Satz 2 Halbsatz 1 Alternative 2 SG dar. Die Ehre eines Menschen, die dem durch § 185 StGB allgemein geschützten Rechtsgut entspricht (Urteil vom 27. September 1991 BVerwG 2 WD 16.91 ), wird durch die Kundgabe einer Missachtung oder einer Nichtachtung (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl. 2004, § 185 RNr. 4) verletzt. Diese liegt hier darin, dass die Betroffene durch die Wortwahl in Verbindung mit dem Kontext als sexuell verfügbar hingestellt und wie jemand behandelt wurde, der nicht ernst genommen wird. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Zeugin K. durch ihr vorangegangenes Verhalten ihr offenkundiges Desinteresse an einem näheren persönlichen Kontakt mit dem Soldaten deutlich gemacht hatte.

36§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 SG ist ebenfalls verletzt, da das Verhalten des Soldaten aus den oben genannten Gründen geeignet war, sein dienstliches Ansehen bei Vorgesetzten, Gleichgestellten und Untergebenen zu beeinträchtigen.

37Der Soldat handelte jeweils vorsätzlich. ...

38Zu Anschuldigungspunkt 6:

39Am 6. August 2002 zwischen 17 und 18 Uhr schickte der Soldat, zu dieser Zeit Zugführer, der Zeugin K., damals Unteroffizier und Angehörige desselben Zuges, nach Dienst folgende SMS an ihr Handy:

40- „Wollen wir ficken?“

41- „Wähle 1 für blasen, 2 für ficken, 3 für Arschfick, 4 für mich und das ganze Paket.“

42Die Zeugin K. hielt sich beim Empfang der SMS jeweils in ihrer dienstlichen Unterkunft auf. Sie empfand diese SMS als massive Belästigung.

43...

44Auch in Anschuldigungspunkt 6 hat der Soldat gegen § 10 Abs. 3, § 12 Satz 2 und § 17 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 SG verstoßen.

45Aufgrund seiner in § 10 Abs. 3 SG normierten Fürsorgepflicht hat jeder Vorgesetzte den Untergebenen nach Recht und Gesetz zu behandeln (Urteil vom 19. Februar 2004 BVerwG 2 WD 14.03 ). Dazu gehört, sein Recht auf Würde und Ehre zu achten. Dagegen hat der Soldat hier verstoßen, indem er die Zeugin K. auf sprachlich drastische Weise, nämlich mit der Frage „Wollen wir ficken?“ und anschließender Auswahlmöglichkeiten in obszöner Formulierung, zu einem bloßen Sexualobjekt erniedrigte. Eine Würde- und Ehrverletzung ist insbesondere auch deshalb anzunehmen, weil die SMS zu einer Zeit abgeschickt wurden, als die Zeugin K. dem Soldaten gegenüber bereits mehrfach durch ihr Verhalten ihre Ablehnung eines persönlichen Kontakts deutlich gemacht hatte; das Ignorieren dieses Umstands und das offene Verlangen eines sexuellen Kontakts hatte damit objektiv einen verletzenden und demütigenden Charakter.

46Damit hat der Soldat auch gegen die Kameradschaftspflicht verstoßen, die in § 12 Satz 2 Halbsatz 1 Alternativen 1 und 2 SG ebenfalls das Recht auf Würde und Ehre schützt. Des Weiteren hat er in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Zeugin K. in Ausprägung der Privatheit der Sexualsphäre (vgl. Urteil vom 17. Februar 2004 BVerwG 2 WD 15.03 m.w.N.) eingegriffen und damit ein (sonstiges) Recht i.S.d. § 12 Satz 2 Halbsatz 1 Alternative 3 SG verletzt.

47Sein Verhalten stellt gleichzeitig einen Verstoß gegen die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 SG) dar. Denn es wird nicht der Achtung und dem Vertrauen gerecht, die sein Dienst als Soldat erfordert. Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Redlichkeit und Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt (vgl. u.a. Urteile vom 2. April 1974 BVerwG 2 WD 5.74 und vom 2. Juli 2003 BVerwG 2 WD 42.02 ). Dies ist wie hier bei Eingriffen in die Sexualsphäre einer untergebenen Soldatin der Fall. Denn nach einem solchen schuldhaften Fehlverhalten kann nicht mehr uneingeschränkt von der Zuverlässigkeit des Soldaten ausgegangen werden.

48Der Soldat handelte jeweils vorsätzlich. ...

49Entgegen der Ansicht der Truppendienstkammer liegt kein Verstoß gegen § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (Beschäftigtenschutzgesetz - BeschSchG) vor, der als Verstoß gegen die Rechtsordnung eine Treuepflichtverletzung i.S.d. § 7 Halbsatz 1 SG darstellen würde (vgl. Urteil vom 21. Oktober 2004 BVerwG 2 WD 17.04 m.w.N.). Denn dieses Gesetz ist hier nicht einschlägig. Es fehlt die erforderliche funktionale Beziehung zu einer Dienstverrichtung, weil sich die Zeugin K. beim Empfang der angeschuldigten SMS nach Dienst jeweils in ihrem Unterkunftsgebäude aufhielt. Dieses Erfordernis ergibt sich daraus, dass das BeschSchG nur vor sexueller Belästigung „am Arbeitsplatz“ schützt (vgl. u.a. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Satz 1 BeschSchG).

50Darunter ist nicht (nur), wie es der Wortlaut nahe legen könnte, ein örtlicher Bezug im Sinne eines Aufenthalts in demjenigen Bereich zu verstehen, in dem allgemein oder konkret gearbeitet wird. Das würde dem Sinn und Zweck des Gesetzes, nämlich der Wahrung der Würde der Beschäftigten im Sinne des Gesetzes durch Schutzmaßnahmen (vgl. § 1 BeschSchG), nicht gerecht. Vielmehr ist eine darüber hinausgehende funktionale Betrachtungsweise angezeigt (so auch Schieck/Dieball/Fritsche/ Klein-Schonnefeld/Malzahn/Wankel, Frauengleichstellungsgesetze des Bundes und der Länder, 1996, § 1 BeschSchG, RNr. 2562). Auf diese Weise wird dem Schutzgedanken, am Arbeitsplatz ein Klima zu schaffen, in dem die Würde jeder Person respektiert wird (vgl. BTDrucks 12/5468 vom 21. Juli 1993, zu § 1 BeschSchG, S. 46), am besten Rechnung getragen. Dadurch wird beispielsweise vermieden, dass Beschäftigte, die sich während der Mittagspause am Arbeitsort räumlich entfernt von ihrem konkreten Arbeitsplatz aufhalten oder auf Dienstreisen sind, aus dem Anwendungsbereich fallen. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass die Beschäftigten dann nicht mehr geschützt sind, wenn sie wie hier ihre Arbeit beendet und den Arbeitsbereich verlassen haben.

51Der Soldat hat insgesamt ein Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 1 SG begangen.

52b) Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind gemäß § 38 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 7 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung sowie die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.

53aa) Die Eigenart und Schwere eines Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlungen, also nach der Bedeutung der verletzten Pflichten.

54Danach wiegt das Dienstvergehen des Soldaten schwer.

55Die unwürdige und ehrverletzende Behandlung einer Untergebenen ist für einen Soldaten in Vorgesetztenstellung stets ein sehr ernst zu nehmendes Fehlverhalten. Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar; sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Dieses Gebot gilt auch für die Streitkräfte als Teil der Exekutive und bedarf im militärischen Bereich mit seiner streng hierarchischen Gliederung besonderer Beachtung. Welche Bedeutung der Gesetzgeber dem Schutz Untergebener beimisst, ergibt sich aus der Tatsache, dass die entwürdigende Behandlung Untergebener mit Freiheitsstrafe bedroht ist (§ 31 Abs. 1 WStG). Ein Vorgesetzter, der Untergebene entwürdigend behandelt, begeht nicht nur eine Wehrstraftat, sondern auch eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung (vgl. Urteile vom 28. Januar 1999 BVerwG 2 WD 17.98 , vom 19. Juli 2000 BVerwG 2 WD 6.00 , vom 17. Oktober 2000 BVerwG 2 WD 12.00, 13.00 und vom 17. März 2004 BVerwG 2 WD 17.03 ).

56Die Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG) gehört zu den vornehmsten Pflichten eines Vorgesetzten gegenüber seinen Untergebenen, die das berechtigte Gefühl haben müssen, dass sie vom Vorgesetzten nicht nur als Befehlsempfänger betrachtet, sondern in ihrer Personenwürde geachtet und mit menschlicher Rücksichtnahme behandelt werden.

57Eine bisher ausgebliebene strafrechtliche Ahndung ist allein darauf zurückzuführen, dass weder eine Strafanzeige durch die Zeugin K. gestellt wurde, noch eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft durch die zuständigen Disziplinarvorgesetzten erfolgte.

58Die Beachtung der Kameradschaftspflicht ist nicht minder wichtig; denn der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft (§ 12 Satz 1 SG). Die dienstlichen Aufgaben erfordern im Frieden und in noch höherem Maße im Verteidigungsfall gegenseitiges Vertrauen und das Bewusstsein, sich bedingungslos aufeinander verlassen zu können. Ein Vorgesetzter, der die Rechte, die Ehre oder die Würde seiner Kameraden verletzt, untergräbt den dienstlichen Zusammenhalt, stört den Dienstbetrieb und beeinträchtigt damit letztlich auch die Einsatzbereitschaft der Truppe (u.a. Urteile vom 15. Oktober 2002 BVerwG 2 WD 10.03 und vom 17. März 2004 BVerwG 2 WD 17.03 m.w.N.).

59Aber auch die festgestellte Verletzung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 SG normierten Pflicht jedes Soldaten, der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert, wiegt schwer. ...

60Zu Lasten des Soldaten fällt erschwerend ins Gewicht, dass er die in Rede stehenden Pflichtverletzungen nicht nur einmal beging, sondern in ähnlicher Form in hoher Anzahl. Denn er hat wiederholt gegen die Pflichten zur Fürsorge, zur Kameradschaft und zur Achtungs- und Vertrauenswahrung im dienstlichen Bereich verstoßen, indem er eine unterstellte Soldatin mehrfach bei Anschuldigungspunkt 4 sogar über einen Zeitraum von etwa einem halben Jahr durch Zusendung unerwünschter SMS belästigte. Er ließ sich selbst durch regelmäßig ablehnende oder zumindest ausweichende Antworten der Zeugin K. nicht davon abbringen, sein Fehlverhalten fortzusetzen. Das zeigt ein hohes Maß an Rücksichtslosigkeit.

61Bei der Bewertung der Schwere des Dienstvergehens ist ferner zu berücksichtigen, dass der Soldat zum Zeitpunkt der Dienstpflichtverletzungen einen Dienstgrad trug, der ihm kraft Gesetzes (§ 1 Abs. 5 Satz 1 und 2 SG i.V.m. § 1 Abs. 1 VorgV) Vorgesetzteneigenschaft gegenüber der Zeugin K. verlieh. Mit seinem Fehlverhalten gab er nicht das von einem Vorgesetzten gemäß § 10 Abs. 1 SG verlangte Beispiel in Haltung und Pflichterfüllung, sondern im Gegenteil ein außerordentlich schlechtes Beispiel.

62bb) Zu Lasten des Soldaten sind die negativen gesundheitlichen Folgen bei der Zeugin K. zu berücksichtigen. So traten bei ihr nach eigenen Angaben Bauchschmerzen, innerer Druck, Angstgefühle und Schlafstörungen auf. Im Untersuchungsbericht des Leiters der Abteilung Neurologie und Psychiatrie eines Bundeswehrkrankenhauses wurde festgestellt, dass es bei ihr seit Mitte 2002 zu Ängsten (insbesondere zur Angst, in die Kompanie zu gehen), Magenbeschwerden, Durchfall und Schlafstörungen gekommen sei; eine „gut verstehbare depressive und besorgte Reaktion bei konflikthafter Belastung“ wurde diagnostiziert. Der Senat hat keine Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der insoweit getroffenen Feststellungen, zumal ihnen der Soldat auch in der Berufungshauptverhandlung nicht entgegengetreten ist.

63Außerdem fällt negativ ins Gewicht, dass der Dienstbetrieb nicht unerheblich beeinträchtigt wurde. Denn zum einen sah sich die Zeugin K. gezwungen, dem Soldaten regelmäßig aus dem Weg zu gehen und nicht mehr in der notwendigen vertrauensvollen Weise mit ihm zusammen zu arbeiten. Zum anderen bewirkte das Fehlverhalten des Soldaten, dass die Zeugin K. anschließend aus Gesundheitsgründen versetzt wurde.

64cc) Das Maß der Schuld ist von der vorsätzlichen Begehungsweise geprägt.

65Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Soldat zum Zeitpunkt des Dienstvergehens in seiner Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB eingeschränkt oder gar im Sinne des § 20 StGB schuldunfähig war, sind nicht ersichtlich.

66Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des Soldaten mindern würden, liegen nicht vor. ...

67Konkrete Anhaltspunkte für ein Mitverschulden von Vorgesetzten etwa im Hinblick auf eine nicht hinreichende Wahrnehmung ihrer erforderlichen Dienstaufsicht (vgl. dazu Urteile vom 17. Oktober 2002 BVerwG 2 WD 14.02 = ZBR 2003, 392) und vom 13. März 2003 BVerwG 1 WD 4.03 ) sind nicht ersichtlich. Vielmehr wurde der damalige Kompaniechef sofort tätig, nachdem ihm die Vorwürfe von der Gleichstellungsbeauftragten mitgeteilt worden waren. Vor diesem Zeitpunkt hatten die Vorgesetzten des Soldaten nach den getroffenen Feststellungen keine Kenntnis von einer Belästigung der Zeugin K.

68dd) Die Beweggründe für das Fehlverhalten lagen offenbar im Interesse des Soldaten, näheren intimen Kontakt mit der betroffenen Zeugin K. zu knüpfen. Dafür spricht insbesondere, dass der Soldat bereits vorher die im Dienst gebotene Distanz zu der unterstellten Soldatin nicht einhielt, indem er sie von sich aus duzte und dass er sie schließlich ganz offen mit seinen sexuellen Bedürfnissen konfrontierte und sie mit sexuellen Anzüglichkeiten und Aufforderungen bedrängte.

69ee) Im Hinblick auf die Persönlichkeit und die bisherige Führung sind seine sehr guten dienstlichen Leistungen hervorzuheben, die insbesondere in seiner letzten planmäßigen Beurteilung sowie auch in der Sonderbeurteilung zum Ausdruck gekommen sind. Nach Begehung seiner Verfehlungen hat der Soldat in seinen Leistungen nicht nachgelassen. Ebenfalls zu seinen Gunsten sprechen die ihm erteilten förmlichen Anerkennungen, die zwei gewährten Leistungsprämien sowie die verliehenen Auszeichnungen. Zudem ist er weder disziplinar noch strafrechtlich vorbelastet.

70Zu seinen Lasten spricht dagegen seine Uneinsichtigkeit. Alle Vorwürfe in den Anschuldigungspunkten 4 bis 6 bestritt er ausdrücklich. Er versuchte auch in der Berufungshauptverhandlung hartnäckig und nachhaltig seine Pflichtverletzungen zu verschleiern.

71ff) Bei der gebotenen Gesamtwürdigung des Fehlverhaltens des Soldaten war vor allem die Schwere des Dienstvergehens zu gewichten.

72Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist bei einer entwürdigenden Behandlung von Untergebenen im Regelfall die Dienstgradherabsetzung, in schweren Fällen sogar die Höchstmaßnahme verwirkt (zuletzt Urteil vom 17. März 2004 BVerwG 2 WD 17.03 m.w.N.). Auch bei einer sexuellen Belästigung ohne (wehr ) strafrechtlichen Hintergrund hat der Senat wiederholt entschieden, dass eine solche „reinigende Maßnahme” Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ist (vgl. Urteile vom 15. Februar 2000 BVerwG 2 WD 30.99 , vom 24. Januar 2002 BVerwG 2 WD 33.01 und vom 1. April 2003 BVerwG 2 WD 48.02 ).

73Vorliegend wäre im Hinblick auf die zahlreichen und teilweise erheblichen Belästigungen und angesichts der äußerst negativen Auswirkungen des vorsätzlich begangenen Dienstvergehens und der Uneinsichtigkeit des Soldaten sowie aus generalpräventiven Gesichtspunkten an sich eine Dienstgradherabsetzung um einen Dienstgrad als die tat- und schuldangemessene Reaktion anzusehen.

74Dem Ausspruch dieser Disziplinarmaßnahme durch den Senat stand jedoch das Verschlechterungsverbot (§ 331 Abs. 1 StPO i.V.m. § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO) entgegen, das nunmehr als Folge der Berufungsrücknahme durch den Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts zu Beginn der Berufungshauptverhandlung zu beachten ist. ...

Prof. Dr. Pietzner Prof. Dr. Widmaier Dr. Deiseroth
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