Text des Beschlusses
1 BvL 13/00;
Verkündet am:
03.03.2004
BVerfG Bundesverfassungsgericht
Vorinstanzen:
2 A 2045/96
Verwaltungsgericht
Göttingen;
Rechtskräftig: unbekannt!
Zur verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse - Richtervorlage wegen zu dünner Begründung abgelehnt
In dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung,
ob § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfallleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz) vom 23. Juli 1979 (BGBl I S. 1184) mit Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, soweit danach ein Berechtigter seinen Anspruch auf Unterhaltsleistungen verliert, sobald sein bis dahin alleinerziehender Elternteil eine Ehe eingeht
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 29. September 1999 (2 A 2045/96) -
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier, den Richter Steiner und die Richterin Hohmann-Dennhardt
gemäß § 81 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 3. März 2004 einstimmig beschlossen:
Die Vorlage ist unzulässig.
Gründe:
I.
Das Vorlageverfahren betrifft die Frage, ob der in § 1 Abs. 1 Nr. 2 Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) konstituierte Ausschluss von Kindern, die in einer Familie mit einem Stiefelternteil leben, vom Bezug von Leistungen nach dem UVG mit Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist.
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1. Das Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfallleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz) soll seiner Zielsetzung nach den Schwierigkeiten begegnen, die alleinstehenden Elternteilen und ihren Kindern entstehen, wenn der andere Elternteil, bei dem das Kind nicht lebt, seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Barunterhalt nicht nachkommt (Gesetzesentwurf, BTDrucks 8/1952, S. 1).
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In der aktuellen Fassung hat der den Kreis der Anspruchsberechtigten regelnde § 1 Abs. 1 UVG folgenden Wortlaut:
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Anspruch auf Unterhaltsvorschuss oder -ausfallleistung nach diesem Gesetz (Unterhaltsleistung) hat, wer
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1. das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat,
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2. im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten dauernd getrennt lebt, und
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3. nicht oder nicht regelmäßig
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a) Unterhalt von dem anderen Elternteil oder,
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b) wenn dieser oder ein Stiefelternteil gestorben ist, Waisenbezüge mindestens in der in § 2 Abs. 1 und 2 bezeichneten Höhe erhält.
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4. ...
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2. Im Ausgangsverfahren erfolgte die Einstellung von Leistungen nach dem UVG, nachdem die Mutter des Klägers erneut geheiratet hatte. Das Verwaltungsgericht setzte das Verfahren gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vor, ob § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG mit Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, soweit danach ein Berechtigter seinen Anspruch auf Unterhaltsleistungen verliert, sobald sein bis dahin alleinerziehender Elternteil eine Ehe eingeht.
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a) Das Gericht ist der Überzeugung, der Begünstigungsausschluss nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit dem aus Art. 6 Abs. 1 GG folgenden Verbot, Ehe und Familie zu benachteiligen, da das Gesetz für die Gewährung der UVG-Leistungen allein nach dem Familienstand des betreuenden Elternteils, nicht aber dem Fehlen eines Miterziehers differenziere. Anknüpfungspunkt des Gesetzgebers sei ausschließlich das Vorliegen einer unterhaltsrechtlichen Doppelbelastung des betreuenden Elternteils gewesen, die durch das UVG ausgeglichen werden sollte. Soweit die Gesetzesbegründung zum "Stiefelternausschluss" daneben darauf abstelle, dass ein Stiefkind in eine Familie eingebettet sei und an deren sozialem Stand teilnehme, sei dies kein eigenständiges zweites Motiv des Gesetzgebers gewesen. Das Differenzierungskriterium des Bestehens einer Ehe sei aber nicht geeignet, das Ziel der Begünstigung des einer unterhaltsrechtlichen Doppelbelastung ausgesetzten Elternteils zu erreichen.
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b) Zudem sei Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG dadurch verletzt, dass der Gesetzgeber den Wegfall einer Sozialleistung an die Eheschließung knüpfe, es aber keine kompensierenden Vorteile durch die Eheschließung gebe, die geeignet wären, den Fortfall der UVG-Leistungen auszugleichen.
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c) Ferner werde ein Elternteil, der heirate, in verfassungswidriger Weise benachteiligt, da nichteheliche Lebensgemeinschaften weiter im Bezug von UVG-Leistungen blieben. Es könne keinesfalls angenommen werden, dass nur der verheiratete Elternteil von seinem neuen Partner unterstützt werde, nicht jedoch der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebende Elternteil. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung könne nur durch finanzielle Unterschiede gerechtfertigt werden, die jedoch von vornherein nicht bestünden.
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d) Zudem sei verfassungswidrig, dass die UVG-Leistungen auch dann in Wegfall gerieten, wenn der Stiefelternteil unterhaltsrechtlich nicht leistungsfähig sei. Die UVG-Leistungen hätten Unterhaltsersatzcharakter, so dass in Anlehnung an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Waisenrente (BVerfGE 28, 324 <355>) der Wegfall der UVG-Leistung mit der Heirat gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstoße, wenn der Elternteil durch die Heirat keinen Unterhaltsanspruch erhalte.
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II.
Die Vorlage ist unzulässig.
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1. Ein Gericht kann eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen, wenn es zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat (vgl. BVerfGE 86, 71 <76>).
Der Grundgedanke des Art. 100 Abs. 1 GG, die Autorität des parlamentarischen Gesetzgebers im Verhältnis zur Rechtsprechung zu wahren (vgl. BVerfGE 63, 131 <141>), gebietet es dabei, dass das Gericht sich seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm in Auseinandersetzung mit den hierfür wesentlichen Gesichtspunkten, insbesondere auch den Erwägungen des Gesetzgebers bildet, bevor es das Bundesverfassungsgericht anruft.
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Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügt ein Vorlagebeschluss daher nur, wenn die Ausführungen erkennen lassen, dass das Gericht die hiernach gebotene Prüfung vorgenommen hat.
Die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit der Norm müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nennen und die für die Überzeugung des Gerichts maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar darlegen. Dabei muss das Gericht jedenfalls auf naheliegende tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte eingehen (vgl. BVerfGE 86, 71 <78>). Insbesondere kann es erforderlich sein, die Gründe zu erörtern, die im Gesetzgebungsverfahren als für die gesetzgeberische Entscheidung maßgebend genannt worden sind (vgl. BVerfGE 77, 259 <262>; 78, 201 <204>; 81, 275 <277>; 86, 71 <78>).
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2. Diesen Anforderungen genügt der Vorlagebeschluss nicht.
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Zwar hat sich das vorlegende Gericht mit Rechtsprechung und Literatur auseinandergesetzt und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in seine Erwägungen einbezogen. Es ist jedoch aufgrund einer engen Auslegung des Gesetzes, die sich weder aufgrund von Wortlaut, noch Sinn und Zweck des Gesetzes sowie den Motiven des Gesetzgebers rechtfertigen lässt, zu einem aus seiner Sicht verfassungswidrigen Auslegungsergebnis gelangt. Dabei hat es zudem naheliegende Möglichkeiten einer verfassungskonformen Auslegung außer Betracht gelassen.
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a) Insbesondere hat die Vorlage den eigentlichen Ansatz des Gesetzgebers für die Gewährung von UVG-Leistungen sowie den Ausschluss von Stiefelternfamilien außer Acht gelassen.
Den Gesetzgebungsmaterialien lässt sich deutlich entnehmen, dass der Gesetzgeber von einer besonderen, über die Unterhaltsleistung hinausgehenden Belastung alleinerziehender Elternteile kleiner Kinder ausgegangen ist, die sich bei Ausbleiben des Barunterhalts verschärft und deren Milderung Sinn und Zweck des Gesetzes ist. So ist in den Materialien (BTDrucks 8/1952, S. 6) zum Ausschluss der Leistungen bei (Wieder-)Heirat nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG ausgeführt, dass sich in diesem Fall zwar nicht die unterhaltsrechtliche, wohl aber die faktische Gesamtlage verbessere. Das Kind sei nunmehr in eine vollständige Familie eingebettet und nehme im allgemeinen auch an deren sozialem Stand teil.
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Ohne sich hiermit sowie dem Umstand, dass dem Gesetzgeber das Fortbestehen einer möglichen unterhaltsrechtlichen Doppelbelastung bei (Wieder-)Heirat bewusst war, hinreichend auseinandergesetzt zu haben, ist das vorlegende Gericht gleichwohl zu dem Ergebnis gelangt, dass der Ausgleich einer unterhaltsrechtlichen Doppelbelastung alleiniges Ziel der Leistung sei. Dabei hat es offen gelassen, ob und aus welchen Gründen die Annahme des Gesetzgebers, es trete durch die (Wieder-)Heirat des alleinerziehenden Elternteils eine faktische Verbesserung der Gesamtsituation ein, unzutreffend sein sollte. Ferner hat die Vorlage den Gesichtspunkt außer Betracht gelassen, inwiefern die UVG-Leistung allein dem Ausgleich einer unterhaltsrechtlichen Doppelbelastung in den Fallkonstellationen dienen sollte, in denen der alleinerziehende Elternteil bei entsprechenden Bemühungen und juristischen Schritten durchaus die Unterhaltszahlungen erhalten würde.
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b) Seine weitere Argumentation hat das vorlegende Gericht sodann darauf aufgebaut, dass die Gewährung der UVG-Leistung allein an den Familienstand und nicht an das Bestehen der besonderen Belastungssituation alleinstehender, alleinerziehender Elternteile bei zusätzlichem Ausbleiben des Barunterhalts anknüpfe. Dabei hat das Gericht jedoch nicht hinterfragt, wie sich diese Ansicht dazu verhält, dass nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG auch Kinder dauernd getrennt lebender Ehegatten zum Kreis der Anspruchsberechtigten gehören, wohingegen der Gesetzgeber in § 1 Abs. 3 UVG bei Lebensgemeinschaften, die von beiden leiblichen Eltern geführt werden, einen Leistungsausschluss vorgesehen hat. Es hat die Situation im Falle der (Wieder)Heirat mit den - die UVG-Leistungen unberührt lassenden - Situationen verglichen, in denen ein nichtehelicher Lebenspartner, die Eltern oder Geschwister des betreuenden Elternteils oder mit diesem in Wohngemeinschaft zusammenlebende Dritte als Miterzieher zur Verfügung stehen, dabei jedoch nicht dargelegt, ob und inwiefern auch in den herangezogenen Vergleichsfällen die besondere Belastungssituation durch Verbesserung der faktischen Gesamtlage entschärft sei. Ferner hat die Vorlage sich nicht damit auseinandergesetzt, ob eine verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes unter Berücksichtigung von Wortlaut, Sinn und Zweck dahingehend möglich wäre, dass auch andere nichteheliche Lebensgemeinschaften vom Leistungsbezug ausgenommen sind.
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c) Soweit das vorlegende Gericht die finanzielle Situation alleinerziehender und verheirateter Elternteile verglichen und hieraus eine verfassungswidrige Bevorzugung Alleinerziehender gegenüber Familien gefolgert hat, hat es seine Begründung auf unzutreffende Grundannahmen aufgebaut und die zuvor ergangene, seine Argumentation entkräftende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998 (BVerfGE 99, 216) außer Acht gelassen. Im Übrigen ist das vorlegende Gericht bei dem Vergleich der finanziellen Situation unter Einbeziehung steuerrechtlicher Vergünstigungen und UVG-Leistungen auch nicht auf die bestehenden strukturellen Unterschiede zwischen steuerlichen Vergünstigungen und Unterhaltsvorschussleistungen als Sozialleistungen eingegangen.
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d) Soweit das vorlegende Gericht problematisiert hat, dass der Gesetzgeber jedenfalls dort, wo der Alleinerziehende keinen Unterhaltsanspruch durch die Heirat erwerbe, die UVG-Leistungen nicht hätte ausschließen dürfen, ist es ebenfalls nicht auf die Erwägungen des Gesetzgebers eingegangen, der in der faktischen Verbesserung der Betreuungssituation die Rechtfertigung für ein Entfallen der Leistung und umgekehrt in der prekären Erziehungssituation des Alleinerziehenden den Grund zur Gewährung der UVG-Leistungen gesehen hat. Auch geht der Verweis des vorlegenden Gerichts auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Waisenrente fehl, da deren Funktion im Ersatz der elterlichen Unterhaltsleistung liegt, wohingegen die Leistung nach dem UVG keinen Ersatz für nicht realisierbare oder bestehende Unterhaltsleistungen darstellt, sondern diese lediglich in Form eines Vorschusses gewährt. Der Wegfall der UVG-Leistungen lässt den bestehenden Barunterhaltsanspruch gegen den nichtbetreuenden Elternteil unberührt.
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Papier Steiner Hohmann-Dennhardt
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