Text des Beschlusses
1 BvR 2422/97;
Verkündet am:
29.01.1998
BVerfG Bundesverfassungsgericht
Vorinstanzen:
OVG Bs III 53/97
Oberverwaltungsgericht
Hamburg;
Rechtskräftig: unbekannt!
Archiv - Mittellanger Beschluß (ap)
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde
der Frau K...,
- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Wilhelm Blümel und Partner, Bayerstraße 13, München -
gegen
a) den Beschluß des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 7. November 1997 - OVG Bs III 53/97 -,
b) den Beschluß des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 13. Mai 1997 - 16 VG 1778/97 -
und Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den
Vizepräsidenten Seidl und die Richter Grimm, Hömig
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 29. Januar 1998 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein verwaltungsgerichtliches Eilverfahren gegen eine behördliche Empfehlung, im Wirtschaftsleben in bezug auf die Scientology-Organisation sogenannte Technologieerklärungen zu verwenden.
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I.
1. Bei der Behörde für Inneres der Freien und Hansestadt Hamburg, der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens, ist eine "Arbeitsgruppe Scientology" (AGS) eingerichtet, deren Aufgabe es ist, Informationen über Praktiken, Einflüsse und Ausbreitung der Scientology-Kirche in Erfahrung zu bringen und zu bewerten, behördliche Aktivitäten zu dieser Frage zu koordinieren, Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit zu betreiben und der Bürgerschaft über gewonnene Erkenntnisse zu berichten. Im September 1995 legte die AGS der Bürgerschaft einen "Zwischenbericht über die Aktivitäten der Scientology-Organisation" vor. Darin wird unter anderem festgestellt, daß "die Gefahr einer schleichenden Unterwanderung der Wirtschaft" durch mit der Scientology-Organisation verbundene Unternehmen bestehe.
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Im Zuge ihrer Aufklärungsarbeit wendet sich die AGS auch an Handelskammern, Wirtschaftsverbände und andere Gruppierungen und warnt vor den nach ihrer Auffassung bestehenden Gefahren durch mit der Scientology-Organisation verbundene Unternehmen. Dabei weist sie auf die Möglichkeit hin, sich vertraglich gegen eine Zusammenarbeit mit derartigen Unternehmen zu schützen, und übersendet nachfragenden Unternehmen eine sogenannte Technologieerklärung, deren Verwendung gegenüber den Geschäftspartnern sie empfiehlt. Darin erklärt der Unterzeichnende, daß weder er noch seine Mitarbeiter noch sein Unternehmen nach der Technologie von L. Ron Hubbard arbeiteten, daß weder er noch seine Mitarbeiter Kurse oder Seminare nach dieser Technologie besuchten und daß er die Technologie zur Führung seines Unternehmens ablehne.
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2. Die Beschwerdeführerin bezeichnet sich als Mitglied der Scientology-Kirche, deren Lehren sie als für sich verbindliche religiöse Wahrheit versteht. In dem von ihr gewerblich betriebenen Studio zur Lösung von Gewichts- und Figurproblemen verabreicht sie ihren Kunden unter anderem ein Vitaminkonzentrat, das von der Firma B. vertrieben wird. Um dieses Präparat als Zwischenhändlerin selbst weiterveräußern zu können, stellte die Beschwerdeführerin Ende 1996 einen sogenannten Beraterantrag bei dem Unternehmen. Dessen Aufforderung, die oben erwähnte Technologieerklärung zu unterschreiben, andernfalls sie als Mitarbeiterin ausscheiden müsse, kam die Beschwerdeführerin nicht nach. Statt dessen beantragte sie im Verwaltungsrechtsweg,
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der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, gegenüber Dritten die Empfehlung auszusprechen, die oben genannte Erklärung im geschäftlichen Verkehr zu verwenden, zur Verwendung im geschäftlichen Verkehr in Umlauf zu bringen oder in sonstiger Weise für die Verwendung der Erklärung zu werben.
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Das Begehren der Beschwerdeführerin blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt:
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Soweit die Beschwerdeführerin die Sicherung eines Unterlassungsanspruchs entsprechend § 1004 BGB zum Schutz ihres Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und ihres Grundrechts aus Art. 4 GG begehre, fehle es an dem erforderlichen unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen Äußerungen der Antragsgegnerin und Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin. In deren Rechtssphäre sei aufgrund einer autonomen Entscheidung der Firma B. eingegriffen worden, die bereits entschlossen gewesen sei, Rechtsbeziehungen zu Scientology-Anhängern abzubrechen, ehe sie sich an die Antragsgegnerin gewandt habe. Es sei nicht ersichtlich, daß diese den Entschluß des Unternehmens gefördert habe. Diesem sei die Bitte um eine Selbstauskunft als für den Zweck brauchbare Methode ohnehin geläufig gewesen.
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Unerheblich sei, daß die Antragsgegnerin zum Entstehen der gerügten Praxis in Wirtschaft und Verwaltung beigetragen habe. Der Zusammenhang zwischen den zur Aufklärung der Öffentlichkeit gedachten Äußerungen der Antragsgegnerin und der konkreten Maßnahme der Firma B. gegenüber der Beschwerdeführerin sei zu weitläufig, als daß er sich als adäquater Kausalzusammenhang bewerten ließe.
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Unterstelle man gleichwohl einen Eingriff der Antragsgegnerin in eine geschützte Rechtsposition der Beschwerdeführerin, sei jedenfalls eine Wiederholungsgefahr nicht ersichtlich. Nur als theoretische Möglichkeit sei, mit einer nach der Lebenserfahrung unbeachtlichen Wahrscheinlichkeit, zu erwarten, daß weitere Äußerungen der Antragsgegnerin auf den Geschäftsverkehr von Einfluß sein würden. Sowohl die von der Beschwerdeführerin selbst vorgetragene Verkehrssitte wie auch die Berichterstattung in den Medien lasse nicht besorgen, daß gerade ein Geschäftspartner der Beschwerdeführerin auf eine Empfehlung der Antragsgegnerin angewiesen sein könnte, um seine Geschäftstätigkeit entsprechend einzurichten.
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Der Erlaß der einstweiligen Anordnung sei auch nicht zur Abwendung von Nachteilen der Beschwerdeführerin nötig. Diese könne ohne Schaden den Anspruch, dessen sie sich berühme, im Hauptsacheverfahren verfolgen. Nach ihrem eigenen Vortrag sei es, obschon etliche Monate vergangen seien, erst einmal zu einem Vorfall der beschriebenen Art gekommen.
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3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und 3, Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG durch die beiden verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. Ferner beantragt sie den Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
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II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.
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1. Soweit die Beschwerdeführerin materiellrechtliche Verfassungsverstöße geltend macht (Verletzung der vorangeführten Rechte mit Ausnahme derjenigen aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG), sind ihre Rügen unzulässig. Der Zulässigkeit steht insoweit der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen. Danach ist die Beschwerdeführerin, die bislang nur das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren durchgeführt hat, gehalten, hinsichtlich der genannten Rügen auch den Rechtsweg im Hauptsacheverfahren zu erschöpfen, um dort ohne Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts eine Korrektur der behaupteten Grundrechtsverstöße zu erwirken; im Hauptsacheverfahren werden sich dieselben materiellrechtlichen (Grundrechts-)Fragen stellen, die die Beschwerdeführerin mit den hier gerügten Verfassungsverletzungen aufwirft (vgl. BVerfGE 77, 381 <401>; 79, 275 <278 f.>; 80, 40 <45>).
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Die Verweisung auf den Hauptsacherechtsweg ist der Beschwerdeführerin zumutbar. Im Hinblick darauf, daß in der gesamten Zeit, in der die Antragsgegnerin die Verwendung von Technologieerklärungen der in Rede stehenden Art im Wirtschaftsleben empfiehlt, die Beschwerdeführerin selbst erst einmal - im Fall der Firma B. - mit einer solchen Erklärung konfrontiert worden ist, ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Beschwerdeführerin während der Zeit der Durchführung des Hauptsacheverfahrens ein schwerer und unabwendbarer Nachteil (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG) entsteht, so gering, daß es nicht gerechtfertigt ist, auf die Erschöpfung des Hauptsacherechtswegs zu verzichten.
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Im übrigen bedürfen die in der Verfassungsbeschwerde behandelten Fragen in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht einer gründlicheren fachgerichtlichen Aufbereitung, als sie im Regelfall im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren mit grundsätzlich nur summarischer Prüfung möglich ist.
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2. Auch hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Rügen, mit denen grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen nicht aufgeworfen werden, ist eine Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht angezeigt.
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a) Soweit die Beschwerdeführerin unter Berufung auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) rügt, die Verwaltungsgerichte seien nicht bereit gewesen, die für sie, die Beschwerdeführerin, bestehende Gefährdungslage zur Kenntnis zu nehmen, was in grundlegender Weise die Bedeutung der Grundrechte verkenne, wird in Wahrheit die materiellrechtliche Würdigung des Falles durch die Fachgerichte angegriffen. Die Beschwerdeführerin wendet sich damit gegen die Argumentation des Oberverwaltungsgerichts, es sei erst einmal dazu gekommen, daß sie mit der streitgegenständlichen Schutzerklärung konfrontiert worden sei, und wirft beiden Gerichten eine Fehleinschätzung der tatsächlichen Verhältnisse vor. Soweit damit die Rüge materiellrechtlicher Verfassungsverstöße bekräftigt werden soll, gilt das bereits unter II 1 Ausgeführte. Soweit sich das Beschwerdevorbringen dagegen gegen die tatsächliche und einfachrechtliche Würdigung insbesondere des Oberverwaltungsgerichts richtet, auf dessen Entscheidung es insoweit maßgeblich ankommt, ist dem Bundesverfassungsgericht eine Überprüfung grundsätzlich verwehrt (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>). Ob ein Kausalzusammenhang zwischen den Empfehlungen der AGS und einer Beeinträchtigung von Rechten der Beschwerdeführerin besteht und ob eine Wiederholungsgefahr in bezug auf weitere Aktivitäten der AGS mit Auswirkungen auf die Beschwerdeführerin und damit zu deren Nachteil eine aktuelle "Gefährdungslage" anzunehmen ist, ist in erster Linie aus fachgerichtlicher Sicht zu beurteilen. Daß dies im Rahmen der Erkenntnismöglichkeiten eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens in einer Weise geschehen sein könnte, die den Erfordernissen des effektiven Rechtsschutzes nicht mehr gerecht wird, ist nicht erkennbar.
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b) Soweit die Beschwerdeführerin schließlich eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend macht, ist ihr Vorbringen schon deshalb unzulässig, weil es nicht den Begründungserfordernissen des § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 und des § 92 BVerfGG entspricht. Die Beschwerdeführerin rügt insoweit, das Oberverwaltungsgericht habe im angegriffenen Beschluß die ihr bis dahin unbekannt gewesene Tatsache verwertet, daß zwischen der AGS und der Firma B. keinerlei erwähnenswerte Kontaktaufnahme stattgefunden habe. Aufgrund des Beschwerdevorbringens läßt sich jedoch nicht überprüfen, ob das Oberverwaltungsgericht Informationen zu Art, Umfang und Zeitpunkt solcher Kontakte verwertet hat, zu denen die Beschwerdeführerin nicht hat Stellung nehmen können. Insbesondere mangelt es der Verfassungsbeschwerde insoweit an konkreten Angaben zum Vortrag der Beteiligten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren.
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Im übrigen steht auch der Zulässigkeit der Gehörsrüge der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen. Er verlangt - jenseits des Erfordernisses der Erschöpfung des Rechtswegs - auch, daß ein Beschwerdeführer alle ihm zumutbaren prozessualen Möglichkeiten wahrnimmt, um ohne Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts die behauptete Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. etwa BVerfGE 81, 22 <27>; 81, 97 <102 f.>). Hier hat die Beschwerdeführerin die Möglichkeit, durch einen Antrag entsprechend § 80 Abs. 7 VwGO beim Gericht der Hauptsache eine Korrektur des von ihr geltend gemachten Gehörsverstoßes zu erreichen (vgl. BVerfGE 70, 180 <187 ff.>; Beschluß der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. August 1995, NVwZ-Beilage Nr. 9/1995, S. 65; vgl. ferner zur Befugnis der Verwaltungsgerichte, im Verfahren des § 123 VwGO ergangene letztinstanzliche Eilbeschlüsse zu ändern und aufzuheben, Kopp, VwGO, 10. Aufl. 1994, § 123 Rn. 39; Redeker/v. Oertzen, VwGO, 12. Aufl. 1997, § 123 Rn. 29; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Mai 1997, § 123 Rn. 174 ff. <177>; jeweils m.w.N.). Es ist nicht ersichtlich und von der Beschwerdeführerin auch nicht geltend gemacht worden, daß dieser Weg für sie unzumutbar sein könnte.
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3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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III.
Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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Seidl Grimm Hömig
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